Polizeiaktion: 82-jähriger am Boden – im Netz Empörung über Polizeigewalt – Staatsanwaltschaft bringt 1200 Facebook Teilnehmer auf die Anklagebank
- Es geht ums Vieh ist eine Tierschutzseite. Wir möchten überzeugen, Nutztiere anständig zu behandeln, z.B. sie nicht mir nichts dir nichts auf den Boden zu schmeißen. Die folgenden Bemerkungen handeln von Menschen. Vom Brauch unserer Polizei – ist es einer? – Menschen im Zuge von Amtshandlungen zu Boden zu bringen. Hat die Bevölkerung einmal das Zu-Boden-reißen als angemessene Behandlungsweise von Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert, wird sie auch am Auf-den-Boden schmeißen von Tieren bald nichts Anstößiges mehr finden. Darum die folgenden Zeilen auf einer Tierschutzseite. Also was war geschehen?
Laut Medien hatte jemand ein Foto über eine Polizeiaktion anlässlich einer Anti-Corona – Demonstration in Innsbruck ins Facebook gestellt. Das Foto soll einen auf dem Boden liegenden alten Mann mit etlichen Polizisten gezeigt haben. Das Gesicht eines der Beamten war besonders deutlich gezeigt. Die Inschrift dazu lautete: „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei einer Demo in Innsbruck. Ein 82-jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig.“ Dieser Text inklusive Foto des Polizisten ging österreichweit viral. Doch der „Polizist hat bei der Coronademo in Innsbruck lediglich eine Verhaftung abgesichert“, wie das gestern von Richter … betont wurde. So ein Bericht der Keine Zeitung Graz über einen Strafprozess gegen fünf Personen, weil sie den Facebookeintrag geteilt hatten.
Insgesamt wurde laut Medien gegen 1200 solche Teiler österreichweit von Staatsanwaltschaften Anklage erhoben.
Die unserer Frau Justizministerin unterstellte Staatsanwaltschaft verteidigt die Ehre eines Polizisten und bringt dazu 1200 Leute auf die Anklagebank, weil sie im Facebook einen Klick gemacht haben. Im Dunkeln bleibt dabei die Ursache des Ganzen, ein alter Mensch auf den Erdboden hingestreckt.
Die Sache gibt Anlass zu einigen Fragen an unseren Herrn Innenminister und unsere Frau Justizministerin.
Wurde tatsächlich ein uralter Mensch zu Boden gebracht? Wenn ja, war das – auch wenn bei Demonstrationen häufig ein rauer Ton herrscht – unbedingt nötig, war es der angelasteten Tat angemessen?
Ohne Rücksicht auf Verluste?
Im Alter von 82 Jahren sind die Leute im Allgemeinen schon ziemlich zerbrechlich. Schmeißt man sie zu Boden, können sie leicht kaputt gehen oder zumindest ein Stück von Ihnen. Hat der alte Mann bei dieser Behandlung Schaden genommen? Wurde der Fall staatsanwaltlich untersucht? Und sollten zerbrechliche alte Menschen auch als vermutete Straftäter nicht behutsamer behandelt werden? Umso mehr als bei solchen Polizeiaktionen schon wiederholt Knochen gebrochen wurden, laut Prozessberichten Knochen jüngerer Menschen.
Polizeigewalt und Menschenwürde
„Über den Anlassfall hinaus noch eine Frage an unseren Herrn Innenminister. Die nicht wenigen derartigen Medienberichte und auch der krasse Fall des Grazer Berufsschullehrers vor einem Jahr lassen vermuten: dieses zu Boden werfen ist ein vom Innenminister akzeptierter polizeilicher Brauch. Ist das so? Auch wenn die Würde des Menschen anders als in Deutschland in unserer Verfassung nicht ausdrücklich verankert sein mag, ist diese Praxis wirklich angemessen und unverzichtbar?
Unschuldiges Dabeistehen?
Der Facebook Text vermutlich aus Empörung über Polizeigewalt verfasst war wohl überzogen. Doch bleibt eine Rechtsfrage. Vergewaltigen zwei Männer eine Frau und ein Dritter steht daneben, damit niemand dazwischenkommt, gilt der ebenfalls als mitschuldig. Steht einer Schmiere für ein paar Einbrecher, ist er ebenfalls dran. Wird ein ukrainischer Landarbeiter in eine Uniform gesteckt und auf einen KZ–Wachturm gestellt, ist er wenigstens nach der neueren Rechtsprechung an allem Bösen, das im KZ geschieht mitschuldig. Laut Zeitung wies der Richter darauf hin, dass die Facebook-Anschuldigung falsch war, der Polizist habe lediglich eine Verhaftung abgesichert. Gesetzt den Fall, die Amtshandlung wäre rechtswidrig, warum wäre der Polizist hier nicht mitschuldig?
Anklageflut
Die Staatsanwaltschaft geht gegen unzählige Bürgerinnen und Bürger, die sich der Tragweite ihrer Handlung wohl gar nicht bewusst waren vor. Sollte da unsere Justizministerin nicht die Bevölkerung ganz allgemein zur Vermeidung künftigen Übels und übermäßiger Gerichtsbelastung über die Rechtslage aufklären. Insbesondere, dass Polizisten, die nur dabei stehen unbedingt geheim bleiben müssen. Und, macht man sich im Justizministerium Gedanken, ob unser auf andere Verhältnisse zugeschnittenes Strafrecht ein geeignetes Mittel gegen moderne Stammtischtratscherei ist.
Wo bleibt die Meinungsfreiheit?
Und zum Schluss: Wenn der Staat gegen 1200 Poster Anklage erhebt, ist das ob gewollt oder nicht faktisch eine Botschaft an seine Bürgerinnen und Bürger: Wagt es ja nicht die Öffentlichkeit über Polizeigewalt zu informieren. Das bekommt euch schlecht. Ist das ein guter Dienst am Rechtsstaat?
Erwin Lauppert
Team Es geht ums Vieh
26.8.2021
Anmerkung zum Fall des Grazer Berufsschullehrers: in Medien wurde der Fall wie folgt dargestellt: der in einer Schule suspendierte Lehrer ging in ruhigem Gespräch mit dem Direktor einer zweiten Berufsschule ein Handy haltend inmitten von Schülern auf dem Schulgelände. Da erschien plötzlich ein Polizei Trupp, rief ihm zu ‚Handy fallen lassen und Hände hoch‘ oder so ähnlich und als der Lehrer nicht sofort reagierte, lag er schon auf dem Asphalt. Laut Grazer Kleine Zeitung war der Bericht über diesen Vorfall, der von ihren Lesern im Jahr 2020 meistbeachtete. Wir hatten damals zur Notwendigkeit dieser Vorgangsweise beim Herrn Innenminister angefragt und erhielten dazu lediglich eine Mitteilung der steirischen Landespolizeidirektion: ein Bericht sei an die Staatsanwaltschaft ergangen. Zur weiteren Frage, wer die Kosten für ein durch fallenlassen beschädigtes Handy trägt, bekamen wir keine Antwort.
Anmerkung zwei: wir haben obigen Bericht vor einer Woche auch unserem türkisen Innenminister und unserer grünen Justitministerin mit der Bitte um Stellungnahme zu den aufgeworfenen Fragen vorgelegt. Die allfällige Antwort werden wir hier wieder geben. Graz 4. September 2021
Nebenbei: Julian Assange
Sagt Ihnen der Name noch etwas? Der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Aufdecker von Kriegsverbrechen im Irak etc. befindet sich nach sieben Jahren Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London seit mehr als zwei Jahren in britischen Gefängnissen, derzeit laut Medien in Auslieferungshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis.