Zum Jahreswechsel wie es sich gehört ein Rückblick in die Vergangenheit, diesmal ins 20. Jahrhundert (geschrieben vor sieben Jahren):
Auf der Website „tierschutzprozess.at“ steht in der Rubrik „7-Minuten-Info zum Tierschutzprozess“ geschrieben:
„Bis in die Mitte der 1990er Jahre begnügte sich der Tierschutz damit, bedürftigen Tieren in Tierheimen zu helfen oder Skandalgeschichten aufzudecken. Doch er gewann zusehends an Selbstvertrauen und führte schließlich schlagkräftige Kampagnen durch, mit denen handfeste gesetzliche Fortschritte erzielt werden konnten. Im Jahr 2005 wurde das damals weltbeste Tierschutzgesetz mit einem Verbot von Legebatterien und Pelzfarmen erreicht.“
Da auch manch andere Informationsschrift den Eindruck zu erwecken versucht, die Welt des Tierschutzes (soweit es nicht Hunde und Katzen betrifft) sei erst gegen die Jahrhundertwende entstanden, sei ein kurzer Blick in die offenbar hinter Nebelschwaden verborgene Vergangenheit gestattet. Die nicht ganz uninteressante Frage, woher der Nebel kommt, lassen wir hier beiseite.
Schon im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und vor dem ersten Weltkrieg gab es eine breite Protestwelle gegen die Vivisektion, die zeitweise vor allem in England militante Züge annahm. Auch die Verbesserung der Schlachtpraxis war damals nicht wenigen Tierfreunden mehr oder minder erfolgreiches Anliegen. Bestärkt durch die weltberühmten Schriftsteller Leo Tolstoj und Bernard Shaw fand der Vegetarismus viele Anhänger, manche huldigten der viel später erst vegan genannten strengen Form. Es gab zahlreiche vegetarische Speiselokale.
Breiten Raum im tierschützerischen Bemühen nahm das Elend der Zugtiere ein.
Intensivtierhaltung war vorerst noch kein Thema, einfach weil sie damals bei uns kaum Bedeutung hatte. Erst von der Mitte des vergangenen Jahrhunderts an wurde sie rasch vorherrschend . Die Engländerin Ruth Harrison war die erste, die breitere Kreise über diesen Wandel der Viehwirtschaft, das Entstehen von Tierfabriken aufklärte. Ihr Buch „Animal Machines“ erschien 1964 (deutsch 1965). Organisierter Widerstand regte sich im deutschen Sprachraum anfangs der 70er Jahre. In der Schweiz gründete Lea Hürlimann 1972 die Konsumenten-Arbeits-Gruppe für tier- und umweltfreundliche Nutztierhaltung, kurz KAG, die das erste Marken-Freilandei in die Geschäfte brachte. In Deutschland waren es die Schwestern Bartling, die 1973 den Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung (jetzt Provieh. Kiel), gründeten, der sich der Aufklärung der Bevölkerung und der Entwicklung von Alternativen widmet.
Das Thema fand bald Eingang in die Medien. Hervorzuheben ist Prof. Grzimek, zu seiner Zeit durch seine TV-Sendungen und Bücher (Serengeti darf nicht sterben) der bekannteste Zoologe Deutschlands; er prägte 1974 das Wort von den KZ-Hühnern und obsiegte vor Gericht gegenüber Eier-Industriellen, die ihm das verbieten wollten (Jüdischerseits gab es damals keinen Einwand gegen diese Bezeichnung).
Der australisch/amerikanische Ethiker Peter Singer, dessen Eltern 1938 aus Wien fliehen mussten, gab 1975 mit dem Buch „animal liberation“ (deutsch „Befreiung der Tiere“) den um die Tiere Besorgten philosophisches Rüstzeug gegen die Tierausbeutung in die Hand. Im deutschen Sprachgebiet war Gotthard M. Teutsch einer der ersten, die das Thema Tierschutz philosophisch beleuchteten. (Helmut F. Kaplan trat erst in den 90er Jahren hervor). „Der Streit um Fortschritte im Tierschutz hat sich, schreibt Teutsch 1987(!) in seinem „Lexikon der Tierschutzethik“ im Laufe der letzten zehn Jahre zu einem gesellschaftlichen Konflikt ausgeweitet, der weite Bevölkerungskreise berührt. … Der Tierschutz ist nicht länger nur eine Sache der betreffenden Verbände, sondern zu einem öffentlichen Anliegen geworden, das in zunehmenden Maße auch die Parlamente beschäftigt.“ Das Verhältnis Mensch : Tier wurde zum Sachbuchthema. Sina Walden zählte mit dem 1984 erschienenen Buch „Endzeit für Tiere – ein Aufruf zu ihrer Befreiung“ mit zu den ersten, die im deutschen Sprachraum das Elend der Nutztiere und nicht nur dieser umfassend dokumentierte; zahlreiche andere folgten.
In Österreich fand der Nutztierschutz erst Mitte der 80er Jahre stärkeren Eingang ins Denken der etablierten Tierschutzvereine. Einzelne begannen sich (nur) für die Bodenhaltung von Legehennen einzusetzen. Der Gedanke an Freilandhaltung lag in Österreich fern. Es war der Initiative des Arbeitskreises Tierrechte der ÖVU, der im Wege der Gesellschaft für humane Nutztierhaltung im Verein mit dem Aktiven Tierschutzes Steiermark eine tierschutzmäßig hochwertige Freilandhaltung organisierte, zu verdanken, dass beginnend 1986/87 das Freilandei wieder in die Regale der Handelsketten-Filialen einzog; fast zeitgleich sorgte in Wien der von Veterinärstudenten gegründete Verein Kritische Tiermedizin für Freilandeier in Bioläden.
Viele engagierte Tierschützer, etwa Regine Dapra waren damals von einem anderen Thema erfüllt, der Verbesserung des Tierversuchswesens. Das Bemühen um ein neues Tierversuchsgesetz steigerte sich ast zu einer breiten Bewegung und führte zu einem neuen Tierversuchsgesetz Ende 1989.
Ein weiterer Schwerpunkt war in den 80er Jahren der Kampf gegen Pelze. Es gelang wenigstens partiell die Presse, etwa die Kronenzeitung einzubinden. Es schien damals, der Kampf gegen Pelz sei fast schon gewonnen. Nur wenige Frauen trauten sich noch in Pelz auf die Straße. Übrigens gab es schon damals „Tierbefreiungen“.
In die 80er Jahre fällt auch die Änderung des ABGB: „Tiere sind keine Sachen“ und, praktisch wichtiger als diese mehr oder minder nur moralische Bestimmung, die Änderung des Schadenersatzrechts: Heilkostenersatz für Heimtiere. Maßgeblichen Anteil an dieser Errungenschaft hatte die dynamische Grazer Tierschutzaktivistin Charlotte Probst mit ihrem 1987 gegründeten Bundesverein der Tierbefreier. Ebenso hatte sie am neuen Tierversuchsgesetz hohen Anteil. Sie veranstaltete u.a. die POT-Messen (Produkte ohne Tierqual), Webpelzmodenschauen, die ihr teure Gerichtsklagen von Pelzhändlern einbrachten – schon damals schlugen die, die ihre wirtschaftlichen Interessen gefährdet sahen, zurück. Das Hauptverdienst von Frau Probst ist der Tierschutzunterricht, den sie schuf und zugleich für die Ausbildung der Tierschutzlehrenden sorgte.
Man könnte die Aktivitäten und Erfolge (und auch Misserfolge) der 80er und der beginnenden 90er Jahre noch lange fortführen, nur noch ein paar Schlagworte: Intensivtierhaltungsverordnungen – Fallenverbot – Schließung der Grazer Nutriafarm – vielwöchiger Hungerstreik der Theologin Dolores Ozimic in der Wiener Innenstadt, um den ORF zu bewegen, die erschütternden Karremann-Filme zu zeigen (rege Anteilnahme der Wiener Zeitungen, doch eisernes Schweigen des ORF) – Karl Wlaschek verzichtet 1992 auf den Käfigeierverkauf in seinen Billa-Filialen – die großen Werbekampagnen des Herausgebers der Tageszeitung „täglich alles“ Kurt Falk für verbesserte Nutztierhaltung – Marilies Flemming Ministerin 1987 – bis 1991, die einzige aus der Ministerriege, deren Herz wirklich für die Tiere schlug – das Tierschutzvolksbegehren im März 1995, das auch nicht von heute auf morgen von Matthias u.a. organisiert werden konnte – und manches mehr – die vielen nicht Genannten mögen verzeihen. Mit einem Wort, ohne die Verdienste der Heutigen schmälern zu wollen, die Tierschutzwelt ist schon früher entstanden.
Erwin Lauppert
(aus anima Nr.1/2012)
Damals stand dazu in der anima:
Anlässlich des vorstehenden Rückblicks haben wir ein bisschen in alten Ausgaben der anima geblättert, hier ein paar Splitter:
Die anima Nr.3/1986 bringt in der Serie Tierrechtsmusik ein jiddisches Poem:
Dos Kelbl
Oifn forel (Wagen) ligt a kelbl,
ligt gebundn mit a schtrik,
hoich in himl flit a vojgl,
flit un drejt sich hin un ts’rk.
Locht der wind in korn,
lacht un lacht un lacht,
locht er op a tog,
a gantsn un a halbe nacht.
Donaj, donaj, … donaj, daj .
Schrejt dos kelbl, sogt der pojer (Bauer),
wer sche hejst dich sajn a kalb?
Wolst gekent doch sajn a fojgl,
wolst gekent doch sajn a schwalb
Locht der wind …
Bidne (arme) kelblech tut men bindn
und men schlept sej, un men schecht (schlachtet).
Wer’s hot fligl, flit arojf tsu (in die Höhe),
is bej kejnem nischt kejn knecht
Locht der wind …
Der Autor, der jüdisch-polnischc Schriftsteller Jtschak Katsenelson wurde vom Nazi-Regime ermordet.
Die anima ergänzte: Dieses Lied wurde von Katsenelson im Warschauer Ghetto geschrieben, unter dem Eindruck der Deportation seiner Familie ins Vernichtungslager. Auffallend, daß hier ein Opfer brutaler rassischer Diskriminierung von sich aus die Situation des Kalbes, das auf den Schlächter wartet, als Gleichnis für seine eigene Situation enpfindet! Denselben Vergleich zieht der jüdische Literaturnobelpreisträger Isaac Bashevis Singer, wenn er schreibt: „Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka.“ Treblinka, das war ein KZ in der Nähe Warschaus – man denkt bei diesem Zitat unwillkürlich an den Begriff ,,Tier-KZ“, mit dem Bernhard Grzimak und Konrad Lorenz die „Haftbedingungen“ der Nutz- und Schlachttiere in der modernen Hassentierhaltung charakterisiert haben.
Die anima Nr. 2/1988 erinnert anlässlich der Wiederauflage seines Buches „Vom Grizzlybär zur Brillenschlange“ an Prof. Bernhard Grzimek und seinen Einsatz gegen die „KZ-Haltung“ von Nutztieren und gibt seine Aussage zur „Dunkelhaft für weißes Fleisch“, die qualvolle Haltung von Kälbern wieder. Sie zitiert seine Aussage zur Wortwahl „KZ“:
„In den ersten Nachkriegsjahren habe ich viel mit Amerikanern zu tun gehabt. Obwohl ich selbst durch Zufall schon früh genau wusste, was in Auschwitz vorging, fiel es mir damals und fällt mir auch heute noch sehr schwer, Ausländer davon zu überzeugen, dass die Mehrheit des deutschen Volkes von den Qualen in den Konzentrationslagern kaum eine Ahnung hatte.
Natürlich wird man mich für gefühlsduselig und überspannt halten, wenn ich diese beiden Dinge zu vergleichen wage – trotzdem möchte ich Ihnen die erneute Entschuldigung der Ahnungslosigkeit nehmen, wenn Sie künftig ein Frühstücksei aufklopfen oder mittags Kalbsbraten essen.“
In der anima vom Dezember 1989 lesen wir, was der Hauspoet der Kronenzeitung Wolf Martin dort am 4.11.1989 wenn auch nur „in den Wind“ reimte: ©
Tierquälerei schmerzt dich unsäglich?
Und ißt doch deinen Braten täglich?
Fleisch zu essen ist im Grund
ja weder nötig noch gesund.
Doch liebt’s der Mensch sich zu ruinieren
samt seiner Umwelt und den Tieren.