Vor 100 Jahren, am 3 Juni 1924, ist Franz Kafka gestorben. Seine Bedeutung als Schriftsteller ist allgemein bekannt. Kaum bekannt ist, dass er Vegetarier war, wie auch Leo Tolstoi und Bernhard Shaw, Vegetarier war. Darum hier ein Artikel von Jan Stastny (Tschechien), der in der Herbstnummer 2008 der Zeitschrift für Tierrechte – “anima” – erschien:
Franz Kafka – ein engagierter Vegetarier
Jan Stastny
Gekürzte Wiedergabe eines auf dem Vegetarier-Welt-Kongreß 2008 in Dresden englisch gehaltenen Vortrags
Franz, Kafka, Vegetarismus, Moriz Schnitzer und die Internationale Vegetarier Union
In diesem Referat bringe ich einige interessante Fakten aus dem Leben Franz Kafkas, über sein Vegetariertum und auch über seine Verbindungen zur Internationalen Vegetarier Union (IVU). Ein Teil der Arbeit handelt auch von Moriz Schnitzer, einem jüdischen Vegetarier aus Nordböhmen, dessen Organisation Mitglied der IVU war und der den IVU Kongreß 1929 organisierte. Kafka hatte Schnitzer 1911 getroffen und folgte seinen Ratschlägen zur gesunden Lebensführung. Fünfzehn Jahre lang bezog er auch dessen Zeitschrift Reformblatt. Hauptquelle meiner Arbeit waren Kafkas Tagebücher und seine Korrespondenz, die ich jedem, der meint, Kafka sei langweilig und schwer zu lesen, sehr empfehle. Es ist eine überraschende Lebensreise, sie erzählt uns natürlich eine Menge über seinen Vegetarismus.
Ich beginne mit einer sehr kurz gefaßten Vorstellung Kafkas, um mich dann näher mit seiner vegetarischen Lebenführung zu befassen.
Kafka wurde 1883 in Prag, der Hauptstadt Böhmens, damals Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie, geboren. Er war das älteste von sechs Kindern einer deutschsprachigen jüdischen Familie. Nach dem Gymnasium studierte er Rechtswissenschaften an der Prager Karls-Universität, erwarb das Doktorat und begann in einer Versicherungsgesellschaft zu arbeiten. An Literatur interessiert begann er zu schreiben und zu publizieren, und wurde schließlich zu einem der bedeutendsten Autoren der modernen Literatur. Berühmt sind seine Werke Die Verwandlung, Der Prozeß und Das Schloß.
Sein Vater stammte aus einer koscheren Fleischerfamilie (woraus für Franz eine Menge Probleme entstanden) und besaß in Prag ein Geschäft für Galanteriewaren.
Kafka litt an Tuberkulose und starb mit 40 Jahren.
Irrmeinungen und Realität
Es ist viel Falsches über Kafka in Umlauf. Wer seine Tagebücher und Briefe und dann einige der hunderten Bücher, die über ihn publiziert wurden, gelesen hat, dem scheint es, diese Autoren hätten nie Kafkas eigene Schriften gelesen sondern nur aus anderen Büchern wiedergekaut. Einer der Mythen lautet, Kafka sei während seines Lebens unbekannt geblieben und erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckt worden. Die Wahrheit ist, er war nicht nur als Schriftsteller sondern auch als Vegetarier bekannt. Im Juni 1918 nennt ihn das Prager Tagblatt dreimal in zwei verschiedenen Artikeln, in einem über deutsch schreibende Prager Autoren heißt es:
Kafka, der für seine Erzählungen „Der Heizer“ und „Die Verwandlung“ den Fontane-Preis erhielt, zog sich sensitiv zurück, kaufte irgendwo in Deutschböhmen einen Garten, in dem er – vegetarisch dem Essen und der Beschäftigung nach – Rückkehr zur Natur sucht: …
Es gibt noch andere Irrtümer, z.B. Kafka habe Prag geliebt, sei schüchtern gewesen, vor allem Frauen gegenüber, und habe seinen Beruf nicht geliebt.
De Wahrheit ist, er wollte aus Prag hinaus, war viel auf Reisen in Europa, hatte mehr Frauen als im heutigen Durchschnitt und war ein ausgezeichneter Rechtsfachmann, so gut, daß ihn sein Arbeitgeber sogar während krankheitsbedingter langer Abwesenheit vom Dienst beförderte und den Gehalt erhöhte; und ihn im ersten Weltkrieg vor dem Wehrdienst bewahrte.
Kafkas berühmter Ausspruch
Einen Satz Kafkas kennt man in der ganzen Welt: Nun kann ich euch in Frieden betrachten;, ich esse euch nicht mehr, meinte er zum Fisch im Aquarium. Max Brod, der beste Freund Kafkas, berichtet in seiner Kafka-Biographie, der Schriftsteller habe dies gegenüber Brods Braut Elsa, 1913 in Berlin vor einem Aquarium gesagt und fügte bei, er (Kafka) sei strenger Vegetarier geworden…und habe Vegetarier mit den frühen Christen verglichen: wie sie würden Vegetarier in schmutzigen Wirthäusern verfolgt und verspottet.
Kafka – Vegetarier
Wann genau Kafka Vegetarier wurde, ist nicht bekannt, doch war es um die Jahre 1909 – 1910. Eine erste Tagebuchnotiz findet sich im Dezember 1910. Er war vielleicht von seinem Onkel Siegfried Löwy, einem Arzt, beeinflußt. Er begann auch Übungen aus dem Buch Mein System des dänischen vegetarischen Athleten Jorgen Peter Müller (1866 – 1938), der 1906 Vorträge im Prager vegetarischen Restaurant gehalten hatte, und entschloß sich, nach den Regeln Horace Fletchers (1849 – 1919) zu essen: die Nahrung vielmals zu kauen. Dieses System intensiven Kauens bewog den Vater Kafkas, monatelang seinen Sohn beim Mittagessen nicht anzuschauen.
1911 kam Kafka mit Moriz Schnitzer zusammen, der ihm riet, vegetarisch zu essen, viel in frischer Luft zu sein, bei offenem Fenster zu schlafen und im Garten zu arbeiten. Kafka folgte diesen Ratschlägen einschließlich der Gartenarbeit. Nach dem Büro ging er zu einem Prager Gärtner und half ihm. Nicht viele Gärtner hatten einen Rechtskundigen als Gehilfen.
Kafka wurde aus Gesundheitsgründen Vegetarier, doch sein Vegetarismus war auch ethisch motiviert. Später schloß er mit seiner Schwester Ottla eine Vereinbarung: Sollten die Ärzte ihn zwingen, Fleisch zu essen, würde die Schwester an seiner Stelle Vegetarierin werden. Es war dies vielleicht ein Weg, Tiere zu schützen. Die Schwester hielt das Versprechen auch nach seinem Tode und blieb Vegetarierin bis zu ihrem Ende in Auschwitz im Jahre 1943.
Es gibt ein anderes sehr interessantes Faktum. Kafka schrieb sehr oft über Tiere. Zum Beispiel 1917 die Kurzgeschichte Ein Bericht für eine Akademie über die Trennlinie zwischen Mensch und Tier: ein Affe hatte, um der Gefangenschaft zu entgehen, gelernt sich wie ein Mensch zu verhalten und schreibt über die Wandlung einen Bericht an die Akademie. Doch gibt es viele andere Tiere in seinen Arbeiten: eine singende Maus, einen Maulwurf, Schakale, Hunde, Pferde, Ochsen und andere. In seinen Geschichten wird Fleisch roh und blutig gegessen.
Moriz Schnitzer – Fanatiker oder Philanthrop?
In Büchern über Kafka wird gesagt, Schnitzer sei Fanatiker oder Sektierer gewesen. Das steht in manchen Biographien und zeigt, daß die Autoren nicht wissen, worüber sie da schreiben.
Moriz Schnitzer war ein erfolgreicher jüdischer Geschäftsmann, Besitzer einer Textilfabrik in Warnsdorf in Nordböhmen. Nach Jahren gesundheitlicher Probleme hörte er von Vegetarismus und gesunder Lebensführung und begann anderen Menschen zu helfen. Er gründete 1894 einen Naturheilverein (Anm. Im ausgehenden 19. Jahrhundert kam es vielerorts zur Gründung von Naturheilvereinen) und eine Zeitschrift, genannt Reformblatt für Gesundheitspflege. Es gelang ihm, in kurzer Zeit viele „Zurück zur Natur“ – Gruppen zu einer großen Organisation zu vereinigen. „Naturheilen“ war nicht die heutige esoterische Form des natürlichen Heilens. Schnitzer wies die Menschen an, gesund zu essen und körperlich aktiv zu sein. Er half Menschen zu Gesundheitsvorsorge, die es sich nicht leisten konnten, dafür zu zahlen.
1906 kaufte er ein große Fläche Landes und vergab sie als Gemüsegärten, eine große Hilfe vor allem während der Hungersnot im ersten Weltkrieg. Später kaufte er zum selben Zweck ein weiteres großes Stück Land und schuf dort auch ein öffentliches Schwimmbad. Die Gärten bestehen noch heute.
Während des ersten Weltkriegs tauschte er Waren aus seinen Fabriken gegen Lebensmittel und gab sie den Armen. Zusammen mit anderen Prager Vegetariern forderte er abweichende Lebensmittelrationen für Vegetarier. Oftmals wurde er der unbefugten Heilbehandlung angeklagt, doch immer freigesprochen.
Ein Beispiel seiner Gewandtheit, Probleme zu lösen, wird im Jahre 1900 in einer tschechischen Vegetarier-Zeitschrift erzählt. Als einer seiner Vorträge verboten wurde, erklärte er ihn zu einer Wählerversammlung. Die konnte nicht verboten werden, bedurfte keiner Genehmigung und war aufsichtsfrei.
In der Zeitschrift Vegetarian Messenger (der britischen Vegetarischen Gesellschaft) heißt es in einem Artikel im September 1935:
Mr. M. Schnitzer sprach über den “Ethischen Wert des Vegetarismus“. Er sei Vegetarier aus moralischen Gründen. Jeder Mensch sollte sich bei seiner Entscheidung von seinem Gewissen leiten lassen, und von seinen Sinnen: Sehen, Riechen, Hören, Schmecken. Allerdings, unsere Sinne seien jahrhundertelang arg mißbraucht und die Aufnahmsfähigkeit verdorben worden. … Es war der erschütternde Anblick eines Tieres, das im Freien geschlachtet wurde, der ihn zum Vegetarismus führte. Eines schönen Morgens sah er eine junge Kuh an einen blühenden Lindenbaum gebunden. Der Fleischer trat in dies friedliche Bild, betäubte die Kuh mit einem wuchtigen Axtschlag und schnitt ihr die Kehle durch. Wie anders wirkt dieser Eindruck auf die Sinne als der Anblick eines Obstgartens voll reifer Früchte.
Im Jahre 1923 nahmen Schnitzer und sein Sohn Adalbert am Kongreß der Internationalen Vegetarier Union (IVU) in Stockholm teil und der Naturheilverein wurde deren Mitglied. Schnitzer nahm auch an weiteren Kongressen teil. Gemeinsam mit seinen Freunden Bernhard O. Dürr und Hans Erwin Feix, beide in der IVU aktiv, organisierte er 1929 den Kongreß in Steinschönau (in Nordböhmen nahe der Grenze zu Sachsen, jetzt Kamenicky Senov).
Alles lief seine ordentliche Bahn bis zum Münchner Abkommen 1938 und der Annexion der nordböhmischen Grenzregion, wo Schnitzer lebte, durch Hitler-Deutschland. Als Jude wurde Schnitzer nach 44jähriger Obmannschaft im Naturheilverein nicht mehr wiedergewählt (und nicht einmal eingeladen) und durch seinen alten Freund Bernhard O. Dürr, damals Präsident der IVU, ersetzt. Diese Vorgangsweise wurde im tschechischen Vegetarier-Magazin Naturdoktor als Zeichen der aufsteigenden Macht der Nazis und rassistischer Säuberung scharf kritisiert. Hans Erwin Feix, der Sekretär der IVU, wird als einer derjenigen genannt, die sich weigerten, Schnitzer wiederzuwählen.
Wir wissen nicht viel darüber. Vielleicht war es der erfolglose Versuch, den Naturheilverein zu retten. Doch der Verein verlor seine Selbständigkeit und wurde Teil einer NS-Organisation. Schnitzer starb im Februar 1939 in seinem Haus und entging so dem Tod im Konzentrationslager. Bernhard Dürr starb während des Krieges und Feix war verschollen. All dies bewirkte den Verlust des Archivs und aller Aufzeichnungen der IVU; vielleicht wurden sie von den Nazis konfisziert.
Schnitzers Naturheilverein war seit dem Kongreß 1923 in Stockholm Mitglied der IVU. Kafka war Abonnent des Reformblattes von 1911 bis zu seinem Tode. Abonnenten waren gewöhnlich automatisch Mitglieder des Naturheilvereins, mit zehntausend Mitgliedern eine der größten, wenn nicht die größte einschlägige Vereinigung in Europa. So war Kafka vielleicht Mitglied einer der Mitglieds-Organisa-tionen der IVU. Sicher ist, daß Kafka Schnitzers Aktivitäten gegen den Impfzwang unterstützte. In der Ausgabe Juni 1911 des Reformblattes ist er in der Unterstützerliste mit eine Spende von zwei Kronen verzeichnet. … …
Zurück zu Franz Kafka.
Das vegetarische Essen wirkt sich nicht nur, wie Kafka im Dezember 1910 im Tagebuch vermerkt, positiv auf sein Verdauungssystem aus, auch die körperlichen Übungen waren erfolgreich, sodaß er, der sich seines mageren Körpers geschämt hatte, sechs Monate später stolz in öffentlichen Badeanstalten schwimmen ging. Dank seines Tagebuchs wissen wir, daß er am Neujahrsabend zum Dinner Schwarzwurzeln mit Spinat und einem Viertel Ceres Fruchtsaft zu sich nahm. Er pflegte das Essen auch auf Postkarten, die er an Verwandte und Freunde schrieb, zu erwähnen.
Schnitzer Organisation beeindruckte in so sehr, daß er im März 1912 ins Tagebuch schrieb: Hätte ich doch die Kraft, einen Naturheilverein zu gründen.
Kafka wähle für den Urlaub vegetarische Einrichtungen und zu Heilzwecken Sanatorien, die vegetarisches Essen anboten. Sein Lebensstil brachte ihm eine Menge Probleme: seine Familie namentlich sein Vater akzeptierten ihn nicht. Doch seine Freunde sahen die positiven Wirkungen und unterstützen ihn.
Die Mutter bat brieflich (1912) Ks Freundin Felice, den Sohn umzustimmen. Der aber erläuterte ihr gegenüber begeistert seine Diät, die seinen Magen kuriert habe. Er fügte noch bei, er trinke weder Alkohol, Kaffe oder Tee und esse gewöhnlich auch keine Schokolade. Auch Max Brod schrieb an Felice: Franz hat nach jahrelangem Probieren endlich die für ihn einzig bekömmliche Kost gefunden, die vegetarische. Jahrelang hat er an Magenkrankheiten gelitten, jetzt ist er so gesund und frisch wie nie. Aber natürlich, da kommen die Eltern mit ihrer banalen Liebe und wollen ihn zum Fleisch und in seine Krankheit zurückzwingen.
Auf das Eingeständnis Felices, sie esse Fleisch, antwortete er, es mache ihm nichts aus, wenn sie Wurst, Aufschnitt und dergleichen esse, fand es jedoch sehr unerfreulich, daß sie regelmäßig große Mengen Tee trinke. Zu ihrem Hinweis, sie sei eine gute Köchin bemerkte er, das werde in ihrem gemeinsamen Haushalt nichts nützen, es sei denn sie lerne eine ganz neue Art des Kochens, …und fügte bei, er glaube, ihr Haushalt werde vegetarisch sein.
Später empfahl er in Briefen der u.a. von Kopfschmerzen geplagten Freundin Grete Bloch, die damals in Wien lebte, intensiv die vegetarische Diät als Heilmittel und lobte das vegetarische Restaurant Thalysia nahe dem Burgtheater als das beste, das er kenne.
Kafka gebrauchte solch eindringliche Werbung, um Menschen zum Vegetarismus zu bewegen, den er auf Reisen oft gegen den Rat von „Fleischessern und Biertrinkern“ verteidigen mußte, und als günstig für geistig arbeitende Menschen.
(Es folgt im Vortrag eine kurze Beschreibung der von Kafka besuchten vegetarischen Restaurants in Reichenberg jetzt Liberec) und Warndorf (Varndorf) in Nordböhmen und in Berlin Friedrichstraße).
Vegetarische Lebensweise und Tuberkulose
Eine weitere Irrmeinung besagt, die vegetarische Lebensweise habe Kafkas Krankheit verschlimmert.
Das ist einfach nicht wahr. Zu dieser Zeit lautete die Prognose für Tuberkulosekranke: 40 % starben binnen einem Jahr nach Auftreten der Symptome – Blut husten (wie der englische Dichter John Keats und der tschechische Jirschi Wolker, ein Zeitgenosse Kafkas, um von Dichtern zu reden) und die übrigen 60 % innerhalb von fünf Jahren. Kafka lebte noch sieben Jahre lang.
Doch es gibt noch ein anderes überraschendes Faktum. Im Oktober 1918 wurde Kafka von der Spanischen Grippe befallen, einer Epidemie, die weltweit fast hundert Millionen Menschen tötete, um vieles mehr als der erste Weltkrieg an Opfern kostete. Gesunde Menschen in Kafkas Alter starben zu Tausenden, doch er, der bereits seit einem Jahr an tödlicher Tuberkulose litt, starb nicht und gesundete rasch.
Die Ärzte konnten ihm nicht helfen, doch die Befolgung der Ratschläge Schnitzers über Vegetarismus, gesundes Essen und körperliche Übungen verlängerte sein Leben um einige Jahre.
Kafka mochte die Ärzte nicht, konsultierte sie jedoch regelmäßig mit seinen Gesundheitsproblemen. Korrekte Diagnosen stellen und heilen konnten sie ihn nicht. 1916, als er wahrscheinlich schon Tuberkulose hatte, erklärte ihn der Doktor gesund und wies ihn an „weniger zu rauchen, nur gelegentlich zu trinken, mehr Gemüse als Fleisch zu essen und in Schwimmbäder zu gehen.“ Kafka war Nichtraucher, trank gewöhnlich keinen Alkohol, aß kein Fleisch, doch viel Obst und Gemüse und ging regelmäßig schwimmen. So überrascht es nicht, daß er den Ärzten nicht sehr vertraute.
1920 schrieb er seiner Schwester, er wolle nicht ins Sanatorium, wo ihn die Doktoren mit Fleisch vollstopfen. So suchte er Einrichtungen, wo vegetarisches Essen zur Behandlung gehörte. Doch 1920 in einem Sanatorium im Tatra-Gebirge hatte man keinerlei Sympathie für seinen Vegetarismus und er mußte als Teil der Kur Fisch essen. In einem Brief an seine Schwester klagte er darüber heftig.
Auch wenn ihm seine Lebensweise half, der Tuberkulose zu widerstehen, ver-schlechterte sich seine Krankheit traurigerweise. Kafka starb am 3. Juni 1924 in einem Sanatorium nahe Wien. Die Tuberkulose hatte seine Kehle zerstört; er konnte überhaupt nichts mehr essen.
Ich habe versucht, Ihnen Kafka aus einer neuen Blickrichtung zeigen, als tätigen Vegetarier, und Moritz Schnitzer als eine für die Internationale Vegetarier Union bedeutsame Persönlichkeit. Ich hoffe, ich konnte veranschaulichen, daß Kafka nicht nur ein paar hübsche Worte über Vegetarismus sagte sondern ein viel aktiverer Vegetarier war als gewöhnlich angenommen; und daß Moriz Schnitzer kein komischer Sektierer war, sondern ein Humanist und Philanthrop, ohne den die Internationale Vegetarier Union in den 1920er und 1930er Jahren vielleicht um vieles weniger aktiv gewesen wäre.
Ich schließe mit einer interessanten Einzelheit. Gegen Ende seines Lebens träumte Kafka nach Palästina zu gehen und mit seiner letzten Freundin Dora in Tel Aviv ein Restaurant zu eröffnen und dort zu arbeiten. Sie können raten, welche Art Restaurant das wohl gewesen wäre.
Jan Stastny ist Gründer der Tschechischen Vegetarischen Gesellschaft und schreibt über die Geschichte des Vegetarismus
(In der Wiedergabe des Namens Stastny fehlen aus technischen Gründen leider die der tschechischen Schrift eigenen diakritischen Zeichen; das Eingangs- S und das folgende t sind mit Hatschek, das y mit Akzent zu versehen)
Ein kleiner Nachtrag:
In der Kafka- Biographie des britischen Schriftstellers Ronald Hayman (1981) findet sich folgende interessante Stelle:
Es wäre denkbar, daß Kafkas Vegetariertum unter anderem seinem Eckel vor der täglichen Arbeit seines Großvaters zuzuschreiben ist, der den Tieren in vorgeschriebener Weise den Hals aufschlitzen und den Körper zerlegen mußte und der seine Familie von dem ernährte, was er mit seiner Tätigkeit als „Fleischerhauer“ verdiente. In Kafkas Alpträumen, Phantasien und Dichtungen taucht immer wieder das Metzgermesser auf; die Identifikation mit Tieren mag ihm in gewisser Weise als Mittel erschienen sein, ihnen gleichsam Genugtuung zu verschaffen oder zumindest gegenüber den Schlächter-Menschen ihre Partei zu ergreifen. Er hat auch eine Erzählung geschrieben, in der es um einen Ritualmordprozeß in Odessa geht; das Manuskript wurde aber später in Berlin vernichtet.