Erwin Kessler war wohl der bekannteste Schweizer Tierschützer der vergangenen Jahrzehnte und wahrscheinlich auch einer der bedeutendsten. Dieser Tage jährt sich der Tag seines Todes. Ein guter Zeitpunkt, sich seiner zu erinnern.
Doktor Erwin Kessler, geboren 1944 in Kanton Thurgau, war von Beruf Bauingenieur. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es von der Öffentlichkeit kaum bemerkt einen Wandel in der Vieh Wirtschaft vom idyllischen Bauernhof (der in der Praxis, oft gar nicht so idyllisch war) zur Tierfabrik.
Erst in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts rückte Ruth Harrison mit ihrem Buch Tierfabriken das Scheinwerferlicht auf die Veränderung. Allerdings weitgehend ohne Resonanz. Kessler, von der tragischen Situation vieler Nutztiere berührt, versuchte in den achtziger Jahren die etablierten Tierschutzvereine für das Thema zu interessieren. Von deren Gleichgültigkeit enttäuscht gründete er 1989 selbst einen Tierschutzverein, dem Verein gegen Tierfabriken. (Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen österreichischen Verein gegen Tierfabriken – VGT). Von vermögenden Tier Freunden unterstützt gewann der Verein bald an Bedeutung.
Zu den Arbeitsmethoden des Vereins: Erkundung krasser Tierquälerei in Großbetrieben, filmische oder fotografische Dokumentation, Veröffentlichung und Aufforderung an die Behörden einzugreifen, notfalls Anprangerung Behördlicher Untätigkeit. Eine der ersten Aktionen war 1992 die Verteilung von Flugblättern in Lichtenstein, gerichtet gegen eine Österreich gelegene fürstliche Schweinefabrik mit etwa 10.000 Masttieren. Das wurde von der Polizei verboten. Da regnete es Flugblätter vom Himmel.
Kein Wunder dass der Verein bei Tierfabrikanten und der Obrigkeit Missfallen erregte. Die radikale und wenig diplomatische Vorgangsweiße Kesslers und oft herbe Wortwahl führte zu manchen Gerichtsverfahren. Zum Beispiel als sein Verein ein Millionenpublikum mit einer Postwurfsendung erreichen wollte, weigerte sich die Schweizer Post. Kessler klagte. Den Streit entschied erst der europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu seinen Gunsten.
Der radikale Tierfreund erkannte bald, dass die Anprangerung von Tierquälerei und Tierfabriken nicht genügte. So begann er bald auch den Vegetarismus zu propagieren. Beispielsweise versuchte er einen kleinen Werbespot „Esst weniger Fleisch“ gegen gutes Geld im Schweizer Fernsehen zu platzieren. Die öffentlich-rechtliche Institution weigerte sich. Wieder musste Kessler klagen und gewann schließlich beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Es brauchte 16 Jahre bis das Filmchen im Fernsehen erschienen.
Kessler war auch nicht der Mann, der vor der Tabus halt machte. Weder vor dem schächten noch vor dem KZ Vergleich. Dazu eine kurze Bemerkung.
In den siebziger Jahren hatte der damals sehr bekannte Zoodirektor Doktor Grzimek- er hatte eine Fernsehsendung und setzte sich für die Wildtiere in Afrika ein „Serengeti darf nicht sterben“ – den Begriff Hühner KZ und KZ Hühner geprägt. Das störte damals weder Menschen die im KZ gelitten hatten noch die israelitische Kultusgemeinde. Im Gegenteil, einige prominente ehemalige KZ Häftlinge begrüßten diese Formulierung. Er war übrigens auch eine große Werbehilfe beim bemühen engagierter Tierschützer, das Freilandei wieder in die Supermärkte zu bringen. Später wandelte sich der Zeitgeist und der KZ Vergleich wurde in die Nähe Nationalsozialistischer Wiederbetätigung gesetzt.
Auch das Schächten ist Gegenstand eines schwer lösbaren Konflikts. Für die kleine Gruppe Orthodoxer Juden ist es essenzielle Religionsausübung. Auch für gläubige Muslime ist es religiöse Verpflichtung. Für Tierschützer hingegen ist schächten ein Rückfall in eine alte atavistische Schlachtpraxis, die sie in Jahrzehntelangen Bemühen endlich durch humanere Schlachtmethoden ersetzt hatten.
Kessler scheute sich wie gesagt nicht gegen das Schächten aufzutreten und den KZ Vergleich zu gebrauchen. Das gab seinen Gegnern Gelegenheit, ihn als Antisemitisten und Rassisten zu disqualifizieren. Obwohl er nach Aussage glaubwürdiger Zeitgenossen dies niemals war.
Der Schweizer VgT hatte einmal seine Tierschutznachrichten, die zugleich Propagandaschrift, als Beilage einer Schweizer Satire Zeitschrift unters Volk gebracht. Die Redaktion des Blattes, bemerkte erst nachträglich das in den Tierschutznachrichten auch gegen das Schächten Stellung genommen wurde, und schäumte.Es kam zu einer großenMedienkampagne gegen Kessler über und unter der Gürtellinie.
In einer Zeit, in der selbst Eier Nockerln mit Salat im April verspeist, wenigstens Österreich zu einer Anklage wegen Nationalsozialistischer Wiederbetätigung vor dem Geschworenengericht führen können war es nicht verwunderlich dass sich Kessler auch in den Fängen der Schweizer Justiz verfing. Er lies sich dadurch nicht beirren und kämpfte unermüdet für die Tiere bis zu seinem Tod.
Kessler ist in der Nacht vom 23. auf 24. September 2021, 77 jährig gestorben.
Erwin Lauppert
September 2022
Foto: Rocky187, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Erwin.Kessler-Bern.Juli.2014.jpg